Ökosysteme werden aktuell noch überschätzt

Veröffentlicht von proptechnews am

Illustration zu Ökosystem von Allthings

Ökosysteme werden aktuell noch überschätzt. Dies ist das Fazit aus meinem Interview mit Stefan Zanetti von Allthings. Stefan habe ich erstmals im Frühjahr 2015 getroffen, als ich zusammen mit Peter Staub von pom+ den Vorgänger vom Digital Real Estate Summit organisierte. Seither hat Stefan eine bemerkenswerte Karriere hingelegt und er kann Gründern viele Erfahrungen weitergeben.

Bevor ich mich mit Stefan Zanetti unterhalte, hier noch eine wichtige Information zu einem Anlass. Die im letzten Blog angekündigte Smart!mmo findet aufgrund der neuen Corona-Vorschriften neu am 20. Mai 2021 statt.

 

Heinz: Es vergeht kaum eine Woche ohne eine neue Ankündigung über ein weiteres, neues Ökosystem, das im Immobilienumfeld entsteht, jüngst vor allem befeuert durch Investments von Banken und Versicherungen in PropTechs. Ihr seid seit sechs Jahren schon als Ökosystem-Plattform unterwegs – wie beurteilst du die jüngsten Entwicklungen?

VRP Allthings Stefan ZanettiStefan: Versicherer und Banken sind davon überzeugt, dass ihre Produkte immer mehr in anderen Produkten verschwinden oder sie diese mindestens nahtlos in einem durchgängigen Prozess friktionsfrei offerieren müssen. Darum wollen sie in Ökosysteme hinein. Die Erfahrung aus jedem Plattform-Geschäft zeigt aber, dass vor dem Ökosystem vor allem einmal ein einzelner, oft genutzter Use-Case richtig gut funktionieren muss, bevor man an die Anreicherung der Lösung gehen kann. Ich glaube darum, dass die Effekte von Ökosystemen in der Breite aktuell überschätzt werden.

Der wirkliche Wert wird sich in wenigen Jahren in einzelnen, ausgewählten Prozessen herauskristallisieren, und es wird auch wieder zu Devestitionen kommen. Wir sehen das auch bei uns: Wir haben laufend Anfragen von Anbietern, die sich gerne in die Plattform integrieren wollen – aber es muss natürlich schon im richtigen Touchpoint in einem Mieterprozess passen und einen entsprechenden Mehrwert für alle bieten, um für uns in Frage zu kommen. Nichtsdestotrotz experimentieren auch wir natürlich breit, denn wie sonst soll man herausfinden, was wirklich funktioniert…

Heinz: und was sagst du dazu, dass mehrere Ökosysteme parallel entstehen – wäre es nicht besser, es gäbe eines?

Stefan: So ist der Markt nun mal. Viele wollen ein Ökosystem besitzen, also setzen sie dazu an. Wichtig ist, dass die Ökosysteme offen bleiben und der Kunde oder Mieter wirklich die beste Auswahl treffen kann. Im Plattform – Fachjargon heisst das ”Permission-Free Access” – man sollte also nicht fragen müssen, ob man überhaupt mitmachen darf in einem Ökosystem. Der Versuch, gewisse Player zu bevorzugen und andere – beispielsweise dadurch, dass Schnittstellen nicht oder nur präferierten Partnern zur Verfügung gestellt werden – ist ein logischer Reflex – aber über kurz oder lang der Tod jedes Ökosystemdenkens und auch der Tod einer Plattform.

Gerade im ERP Bereich hat es Beispiele in anderen Ländern gegeben, die sich durch eine hohe Abschottung ausgezeichnet haben. Das geht früher oder später schief, denn die Kunden werden unzufrieden. Besser man lässt das beste resp. das, was Kunden das beste finden zu, und findet zu einem Revenue – Share Modell. Wir leben das bei uns bspw. in aller Radikalität: Ist ein Kunde der Meinung, dass er einen anderen Dienst anstelle unserer eigenen Kernfunktionen einsetzen will, dann tauschen wir unsere Funktion gegen die andere aus. Vorausgesetzt natürlich, der Systempartner ist willens, sich zu integrieren…

Heinz: Du giltst mit Recht als Pionier in der PropTech Welt. Wie hast du die Entwicklung der PropTech Szene in den letzten sechs Jahren erlebt?

Stefan: Die PropTech Szene hat einen klassischen Hypecycle durchlebt. 2015 kamen die ersten Digitalkonferenzen im Immobilienumfeld auf – ich erinnere mich gut daran, wie Du und Peter Staub von pom+ dort den ersten Digital Real Estate Day am Hauptsitz von TA Media veranstaltet haben. Daraus hat sich dann ja ein super Format entwickelt. In der Folge wurde es geradezu inflationär – sodass beinahe keine Konferenz mehr ohne die obligaten PropTech Pitches stattfand, bis zum Punkt, an dem die Ratlosigkeit bei den Immobilienkunden durch die Breite des Angebots dann erst mal grösser wurde als zuvor.

Aber die Immobilienwirtschaft hat parallel auch gelernt, neue Rollen wie Chief Digital Officers aufgebaut, PropTechs geclustert, etc. Heute geht es darum, echten Mehrwert zu liefern. Im Vergleich zu vor fünf Jahren sind in allen PropTech Bereichen etablierte Anbieter unterwegs. Was mir allerdings nach wie vor auffällt: Die meisten PropTech Firmen arbeiten an der inkrementellen Verbesserung von bestehenden Prozessen, und es gibt nach wie vor wenige wirklich disruptive Ansätze. Meine These ist: Da wird man in den nächsten Jahren noch mehr sehen, gerade auch unter dem Beschleunigungseffekt von Covid. 

Heinz: Allthings galt lange Zeit als der Highflyer in der PropTech-Szene. Und dann kam im November 2020 der Absturz, ihr musstet Personal entlassen. Heute mit einiger Distanz: Was ist schief gelaufen bei der rasanten Entwicklung von Allthings?

Stefan: Naja, das tönt ja beinahe als wärst Du ein Boulevard-Journalist. Unternehmer nehmen Risiken, und dann läuft auch mal etwas nicht so, wie man es  geplant hat. Das kennst du ja auch. Aber das ist ja auch nicht das Ende der Entwicklung, sondern sehr oft erst der Anfang einer nächsten Phase –  jedenfalls, wenn man früh genug auf die Bremse tritt – und das ist das, was wir getan haben. Wir haben einfach festgestellt, dass wir letztes Jahr nicht mehr so schnell gewachsen sind wie geplant und wenn wir dem weiter zugeschaut hätten, wären uns die Kosten aus dem Ruder gelaufen – also mussten wir bremsen. Aber natürlich haben wir nachher reflektiert, warum das so geschehen ist. Und natürlich ist es zu leicht, einfach die Geschwindigkeit der Industrie dafür verantwortlich zu machen.

Bei uns war der wesentliche Bremser, dass wir es in grossen Portfolios mit der Applikation als alleiniges Front-End für die Mieter trotz allem Aufwand nicht geschafft haben, eine tiefe und breite Durchdringung hinzukriegen. Deswegen haben wir die Plattform substanziell erweitert. Heute ist sie omnikanalfähig. D.h. sie verarbeitet E-mails, Webformulare, und Anrufe via Call Center oder “Tenant Operations Centers”, wie wir das nennen. Damit sind wir in der Lage, 100% aller Mieterinteraktionen abzudecken. Als wir das verstanden haben, haben wir gemerkt, dass die Welt für uns eigentlich noch viel grösser wird als zuvor gedacht, denn das ermöglicht uns nun wirklich automatisiert die Prozesse vom Mieter bis bspw. zu einem Handwerker und zurück zu leiten. 

Heinz: Du hast deine Rolle als CEO bei Allthings weitergegeben. Was machst du mit der vielen freien Zeit?

Stefan: Die freie Zeit war wenn überhaupt, nur von kurzer Dauer. Ich bin ja nach wie zu 120% dabei, als sogenannter exekutiver Verwaltungsratspräsident. Der Grund für den Wechsel liegt im stärkeren SaaS- und Technologiefokus der Firma. Eric, unser ehemaliger CPO, hat in den USA zuvor multistakeholder Software-as-a-Service-Plattformen aufgebaut. Er ist also selbst auch ein erfahrener Unternehmer und schlicht der bessere CEO für Allthings für die jetzige Phase. Das ist natürlich sehr schön und komfortabel für mich als Gründer und macht es auch einfach, los zu lassen.

Was sich dadurch auch geändert hat: Ich habe viel weniger operative Meetings – und viel mehr Zeit für die Themen, die ich am liebsten verfolge,  nämlich langfristige Strategie und Vision, grosse Kunden und Partner. Und ich habe auch wieder viel mehr Zeit für Interviews mit Leuten wie Dir… . Tatsächlich ist es so, dass ich jetzt mit 49 dort bin, wo ich mit 50 sein wollte, und ich bin voller Tatendrang. Es ist aufregend, aus der Position eines VRPs die nächsten Themen voranzutreiben und zusammen mit Eric und dem Team die nächste Version von Allthings zu gestalten. 

Heinz: Wie würdest du Allthings heute einem potenziellen Kunden, sagen wir eine Bewirtschaftungsfirma mit 3’000 Objekten, erklären?

Stefan: Ganz einfach: Du kannst über Nacht die Effizienz und Zufriedenheit an der Mieterschnittstelle mit unseren einfachen Starterpaketen drastisch verbessern. Beispielsweise kannst du unser kostenloses Webformular einsetzen, dass die Erfassung von Mietermeldungen strukturiert und sehr viel einfacher in der Bearbeitung macht als ein klassisches Kontaktformular auf der website. Oder du setzt auf unsere Pakete Essential oder Professional zu einem Preis im zwei- oder tiefen dreistelligen Bereich, die dir noch viel mehr Effizienzgewinn bringen.

Beispielsweise ist bei diesen Paketen das Handwerkerportal von Jarowa integriert oder die digitalen Dokumentations- oder Kommunikationsfunktionen. Das Schöne an unserer neuen Produktstruktur in vier Paketen ist, das man einfach von einem Paket zum anderen wechseln kann, bis hin zu umfangreichen Integrationen und Thirdparty Funktionen, die unsere grossen Enterprise Kunden brauchen. 

Heinz: Was möchtest du als erfahrener Firmengründer jemandem mitgeben, der ein Startup aufbauen möchte?

Stefan: Schnell testen und iterieren und den Cash-burn tief halten, bis man weiss, was funktioniert. Denn je weniger Geld man verbrennt, desto mehr Zeit hat man, um herauszufinden, was wirklich skaliert werden kann. 

Ökosysteme werden aktuell noch überschätzt. Lassen wir uns überraschen, was der Markt noch bringt!


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